von Sarah Falkenberg
Inszenierung des Goethe-Klassikers auf dem Theaterschiff überzeugt mit sprachlichen Einfällen und ambitionierten Akteuren.
Melancholische, wummernde Musik von Tom Waits schafft im Bauch des Theaterschiffs eine düstere Atmosphäre. Auf der in unwirklich grünes Licht getauchten Bühne bewegt sich geschmeidig, Grimassen schneidend Mephisto (gespielt von Lorenz Schmidt)im giftgrünen T-Shirt und violetten Sakko. Das Licht wechselt, und Gott (Tim Feindt) erscheint.
Die Batavia-Theatercrew um Hannes Grabau und Angelika Strub hat sich an das wohl bekannteste Werk der deutschen Literatur herangetraut, den Faust. Genauer gesagt an dessen ersten Entwurf, den Urfaust, den Johann Wolfgang von Goethe in seinen Sturm-und-Drang-Jahren mit Anfang 20 schrieb. Im Fokus dieses Werks steht die tragische Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen.
Die Regie führt Strub diesmal gemeinsam mit Schmidt. Dabei soll das Hochemotionale der manchmal sperrigen verdichteten Sprache verdeutlich werden. Immerhin geht es um die Suche nach der allumfassenden Erkenntnis, dem Sinn des Lebens, dem Glück. Neben farblich-intensiven Kostümen sorgten immer wieder sprachliche und darstellerische Einfälle und vor allem die ambitionierten Akteure dafür, dass das Programm nicht zu schwer wird. Gut gelöst ist auch der Wechsel der einzelnen Bühnenbilder: Um den Spielfluss nicht zu unterbrechen, werden die Requisiten auf offener Bühne spielerisch von den Schauspielern für die nächste Szene umgebaut.
Das Drama in Kürze: Faust will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, was der eigentliche Sinn des Daseins ist. Als der teuflische Mephisto ihm anbietet, ihm zur absoluten Befriedigung zu verhelfen, nimmt er an. Unter dem Einfluss des großen Manipulators, der ihn wie eine Marionette an Fäden dirigiert, verliert Faust euphorisiert alle moralischen Skrupel, verführt das unschuldige Gretchen und richtet sie schließlich mit seinem Egoismus zugrunde. Die Gretchenfrage nach den wahren Beweggründen seines Handels kommt für sie zu spät: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“
Verzweifelt und halb wahnsinnig geworden, wird sie schließlich als Kindsmörderin zum Tode verurteilt. Als sie dies als seelenrettendes Gottesurteil annimmt und der vermeintlich helfenden Hand des Teufels widersteht, übermannt Faust seine Schuld und er flüchtet in den Freitod.
Geniale Besetzung
Faust (Thomas Lagerpusch) kommt modern daher. Er sitzt gefrustet am Laptop, lamentiert und schnupft schließlich gelangweilt eine Linie Kokain. Der in die Jahre gekommene Gelehrte fühlt sich trotz seines großen Wissens leer und unzufrieden: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Lagerpusch gelingt es, die anspruchsvollen Monologe emotional zu füllen, wirkt in seiner Verwirrung und Verblendung rührend hilflos.
Schmidt ist als Gegenspieler Mephisto eine geniale Besetzung. Geschmeidig brilliert er sprachlich als großer Verführer, Gestik und Mimik sind ebenfalls wunderbar teuflisch fies und heimtückisch. Bravo.
Auch Gretchen (Luisa Höfer) wird als flotte junge Frau in Szene gesetzt. Jung und frisch spaziert sie herein, hat Kopfhörer auf, tanzt und singt einen Rap mit, während sie Blumen in eine Vase stellt. Später wird eine Blüte dem bekannten „Er liebt mich, er liebt mich nicht“ geopfert werden. Auch die Zitate „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer“ sowie „Heinrich! Mir graut’s vor dir“ fehlen nicht und werden spontan, wie viele andere auch, vom Publikum mit gemurmelt. Höfer ist neu in der Theatercrew und hat mit ihrer Gretchen-Darstellung eine Punktlandung hingelegt. Intensiv spielte sie das naive Mädchen, die hoffnungs- und hingebungsvoll Liebende und die abgrundtief Verzweifelte. Großartig der eindringliche Monolog zum Schluss.