von Heinke Ballin
Marc (Thomas Lagerpusch) ist völlig unvorbereitet auf das, was sein Freund Serge (Lorenz Schmidt) ihm da vor die Augen schiebt: ein neu erworbenes Gemälde. 200.000 Euro hat er dafür bezahlt. Das allein ist noch nichts Besonderes. Schließlich ist Serge Kunstsammler, als Dermatologe wohlhabend genug, um sich so ein Oeuvre zu leisten. Aber das ganze Gemälde ist weiß! 1,5 mal 1,5 Meter weiße Leinwand. Angeblich gibt es darin als künstlerische Besonderheit weiße Streifen. Nur sind die nicht zu erkennen. Und so entfährt dem verdutzten Freund der Ausruf, „200.000 Euro hast du für diesen Scheiß bezahlt?“
Das ist die erste Szene von „Kunst“. Die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza hat diese Komödie geschrieben. 1994 wurde sie in Paris uraufgeführt und schnell zu einem Welterfolg. In 40 Sprachen ist sie inzwischen übersetzt worden. Jetzt hatte sie im ausverkauften Theaterschiff Batavia ihre Wedeler Premiere.
Was macht das mit der Freundschaft?
Das strahlend weiße Kunstwerk wird nach dem Start noch einige Male ins Rampenlicht geschoben, aber es ist selbst eigentlich gar nicht so wichtig. Das Thema der Autorin ist vielmehr: Was macht das Ding mit einer bewährten Männerfreundschaft? Marcs Ausruf ist schließlich kein Kompliment.
„Was genau meinst du mit Scheiß?“ fragt Serge denn auch süffisant und die Freundschaft hat ihren ersten Knacks weg. Ivan (Ulf Krückel), dritter Mann im Bunde, ist von Natur aus konzilianter und versucht, die Wogen zu glätten. Damit aber macht er alles noch viel schlimmer, denn jetzt wittert Serge Heuchelei.
Französischer Esprit
Die Dialoge sind voll von französischem Esprit. Das Batavia-Publikum hat viel zu lachen. Nur auf der Bühne klappt das immer weniger. Die drei Freunde stellen hilflos fest, dass sie nicht mehr miteinander lachen können. Und genau das ist das zentrale Thema und macht Rezas Komödie, so quicklebendig sie an der Oberfläche auch plätschert, zu einem verstörenden Stück mit unerwarteten Tiefen. In unserer Gegenwart mit ihren um sich greifenden Zwängen politischer Korrektheit vielleicht sogar noch mehr als 1994.
Vor einem billigen Happy End hat Reza ihr Stück gewahrt. Aber tragisch ist der Ausgang auch nicht. Eher realistisch: Ihre Freundschaft ist den drei Männern schließlich wichtig genug, um ihren Streit unter den Teppich zu kehren. Die Welt ist zwar nicht besser geworden, aber wieder in Ordnung.
Regisseurin Angelika Strub hat ihre drei Mimen zu großartigem Charakterspiel geführt. Und nach der Premiere servierte das Theaterschiff den heimwärts strebenden Besuchern noch eine ergreifende Zugabe: eine leuchtend weiße Mondsichel am Himmel legte ihren milden Schein über alle kleinlichen Streitereien.
Wer die Premiere verpasste, wird „Kunst“ am 1. September noch einmal erleben können, so die tröstliche Zusicherung von Batavia-Käpt’n Hannes Grabau.
– Quelle: https://www.shz.de/20768557 ©2018